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Der Mythos von der dominanten Gehirnhälfte in der Didaktik

Der Mythos von der dominanten Gehirnhälfte in der Didaktik
Der Mythos von der dominanten Gehirnhälfte

In der Didaktik (und anderswo) herrscht seit Jahrzehnten die Überzeugung, dass das menschliche Gehirn in eine „analytische, rationale linke Gehirnhälfte“ und eine „emotionale, kreative rechte Gehirnhälfte“ geteilt sei, und dass bei jedem Menschen eine dieser Gehirnhälften dominant sei und er folglich nur auf die zu dieser Gehirnhälfte passende Art und Weise seine Umwelt erfasst und auch nur dementsprechend lernen kann.

Vielleicht haben Sie auch schon mal im Internet sogenannte Tests dazu gemacht, zu welchem Typ Mensch bzw. Lernenden Sie gehören. Und vielleicht hat das Ergebnis dieses Tests auch Ihre Selbsteinschätzung bestätigt („Ja, stimmt, ich bin wirklich ein eher emotional-kreativ denkender Mensch.“) Wenn Sie sich aber genau beobachten, dann werden Sie bald feststellen, dass Sie, nur weil Sie angeblich ein „emotional-kreativ denkender“ Mensch sind, nicht unfähig sind, analytisch zu denken oder rational zu argumentieren.

Gerade wenn Sie Instruktionsdesigner sind, wenden Sie in Ihrem Berufsalltag ständig beide Seiten Ihrer Persönlichkeit und Ihrer mentalen Fähigkeiten an: Sie planen den Aufbau eines E-Learning-Kurses nach strukturierten, logischen Kriterien und setzen dann Ihre kreativen, emotionalen Fähigkeiten ein, um ihn ansprechend und zielgruppengerecht zu gestalten. Sprich: Sie verwenden Ihr GANZES GEHIRN.

Das Problem an der These von der dominanten linken bzw. rechten Gehirnhälfte ist, dass es für sie keine wissenschaftlichen Belege gibt. Es ist ein Mythos. Und zwar ein hartnäckiger, der sich nicht nur im Volksmund hält, sondern auch im akademischen Diskurs und in der E-Learning-Branche. Und er färbt unser Verständnis des Lernprozesses ganz allgemein.

Deshalb möchten wir in diesem Artikel die Hintergründe des Mythos der dominanten Gehirnhälfte beleuchten, um Ihnen Argumente an die Hand zu geben, die Ihnen im Umgang mit „Mythos-Gläubigen“ in Ihrem Umfeld helfen können.

Ein geschichtlicher Abriss des Mythos der dominanten Gehirnhälfte

Wann und wo der Mythos genau entstand, lässt sich heute nicht mehr sagen. Aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass er in irgendeiner Form mit dem Aberglauben zusammenhängt, der Linkshändigkeit bzw. Rechtshändigkeit Auswirkungen auf Gesundheit, Lebenserwartung oder Persönlichkeitsmerkmale zuschreibt.

Um 1960 herum scheint der Mythos um die dominante Gehirnhälfte im Lernprozess in der Gesellschaft angekommen zu sein, vermutlich aufgrund von Forschungsergebnissen im Zusammenhang mit Epilepsiepatienten. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse formulierten einzelne Wissenschaftler die Hypothese von der Dominanz einer Gehirnhälfte über die andere, nach der bei den meisten Menschen eine Gehirnhälfte besser entwickelt ist als die andere.

Bis heute sind bei aller Weiterentwicklung der medizinischen Technik und Methoden noch keine stichhaltigen Beweise vorgebracht worden, die diese Hypothese stützen könnten. Im Gegenteil: eine neurologische Studie der Universität Utah aus dem Jahr 2013 kam zu dem Schluss, dass es keine Hinweise darauf gibt, dass bei Menschen eine Gehirnhälfte stärker oder schwächer ausgeprägt ist als die andere. Es ist in der Neurowissenschaft zwar unstrittig, dass bestimmte Hirnfunktionen wie Sprache oder Aufmerksamkeit tendenziell in der einen bzw. in der anderen Gehirnhälfte verortet sind, aber Menschen benutzen nicht durchgehend eine Gehirnhälfte mehr als die andere. Sämtliche wissenschaftlichen Befunde zeigen, dass wir in der Lage sind unser gesamtes hoch komplexes und adaptionsfähiges Gehirn einzusetzen und während des ganzen Lebens neue Verknüpfungen zu schaffen und neue Fähigkeiten zu lernen.

Wie kann dieser Mythos meinen Lernenden schaden?

Wie bei vielen Mythen erscheint es auf den ersten Blick recht harmlos, Lernende in Menschen mit dominanter rechter Gehirnhälfte und Menschen mit dominanter linker Gehirnhälfte zu unterteilen. Schließlich sind manche doch einfach besser in strukturierten, analytischen Aufgaben, und andere sind viel besser in kreativen, künstlerischen Dingen. Ist es nicht hilfreich, mehr Einblick in die eigenen Stärken und Chancen zu haben?

Ja und nein. Es kann sehr wohl hilfreich sein, Menschen die Gelegenheit zur Reflexion und Selbstanalyse zu geben. Das Problem dieses Mythos liegt jedoch darin, dass Menschen sich dadurch allzu leicht in Schubladen stecken (lassen), aus denen sie dann meinen, gar nicht ausbrechen zu können. Wenn einem Kind gesagt wird, dass sein Hirn nun mal für Mathematik und Naturwissenschaften nicht so geeignet sei, wird es gar nicht erst versuchen, sich mit diesen Gegenständen auseinanderzusetzen, was beim Kind wiederum den Eindruck verstärkt, dass es von diesen Dingen nichts versteht. Und nicht zuletzt perpetuiert der Mythos auch ein verzerrtes Bild davon, was Lernen eigentlich ist und wie es funktioniert.

Wie kann ich in meinem Unternehmen den Mythos der dominanten Gehirnhälfte entgegenwirken?

Egal um welchen Mythos es sich handelt, die beste Medizin ist immer, den Diskurs auf Fakten und wissenschaftliche Argumente zu lenken. Sprechen Sie in unserem Fall z. B. nicht davon, wie die verschiedenen Persönlichkeiten, Führungsstile oder Kommunikationsstrategien angeblich das Lernen beeinflussen, sondern darüber, welche Verhaltensweisen Menschen an den Tag legen sollten, um erfolgreich zu sein. Anschließend können Sie über belegbare Methoden sprechen, wie solche Verhaltensweisen in Ihrem Unternehmen gefördert werden können, z. B. durch Schulungen, gemeinsame Übungen oder Mentorenprogramme.

Kurz gesagt: Anstatt sich darauf zu konzentrieren, wie Menschen ihre eigenen Leistungen und Fähigkeiten beurteilen, geben Sie Ihnen lieber Mittel und Methoden an die Hand, um ihre Fähigkeiten auszubauen und kritisches Denken zu fördern, egal wie es um ihre angeblichen Stärken oder Neigungen bestellt ist.

Weitere Lektüre

Der Mythos der dominanten Gehirnhälfte ist weit verbreitet, aber die Fakten und Argumente um ihn zu widerlegen zum Glück ebenso, zum Beispiel in diesem Artikel: Was ist dran am Mythos um die linke und rechte Gehirnhälfte?

Auf unserem Blog finden Sie auch einen anderen interessanten Artikel zu verbreiteten Trainingsmythen: 3 verbreitete Trainingsmythen und wie man ihnen entgegnen kann.

 

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