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6 Lektionen, die Sie von Videospielen für E-Learning-Szenarien lernen können

6 Lektionen, die Sie von Videospielen für E-Learning-Szenarien lernen können

Szenarien gehören zu den schönsten Dingen, die wir als E-Learning-Designer erschaffen können. Man kann sich verschiedene Charaktere ausdenken, ihnen Persönlichkeiten geben und entscheiden, wie sich diese Persönlichkeiten auf den Verlauf des Szenarios auswirken.

Von Büchern, Filmen und Fernsehserien lässt sich einiges über Charaktere und Handlungsverläufe lernen, aber nicht selten sind Videospiele eine noch ergiebigere Inspirationsquelle.

Klar, nicht jedes Spiel hat vollständig ausgestaltete Charaktere oder eine spannende Handlung, aber aus den Spielen, die beides haben (und das sind nicht wenige) lässt sich jede Menge für E-Learning-Szenarien lernen. Von der Art und Weise der Interaktion mit dem Medium über den Handlungsverlauf bis hin zur Identifikation mit der Hauptfigur haben Videospiele Vieles gemeinsam mit E-Learning-Szenarien.

Was können wir uns als E-Learning-Designer also konkret von Videospielen abgucken? Das wollen wir in diesem Artikel näher beleuchten.

1. Spannende Handlung ist wichtiger als geschliffene Grafik

Wenn Sie daran denken, ansprechende Szenarien für Ihre E-Learning-Kurse zu gestalten, verzweifeln Sie vielleicht, weil Sie nicht die nötigen Kenntnisse haben, um schöne Grafiken und Effekte zu erschaffen. Das Szenario muss doch geschliffen aussehen, um ansprechend zu wirken, oder? Zum Glück nicht. An Videospielen sehen wir ganz deutlich, dass es nicht in erster Linie auf die Grafik ankommt. Die erzählte und erlebte Geschichte ist viel wichtiger! Wenn Handlung, Charaktere und Dialoge stimmig sind und Spaß machen, reicht eine durchschnittliche grafische Präsentation locker aus.

Bestes Beispiel hierfür ist das Spiel Lifeline. Das Spiel besteht ausschließlich aus fesselnden Textnachrichten zwischen dem Spieler und einem Astronauten, der in den Weiten des Alls verloren gegangen ist. Die Tatsache, dass es außer dem Text keinerlei Bilder gibt, macht die Sache sogar noch spannender. Ein weiteres Beispiel für eine packende Story mit sehr rudimentärer Grafik ist Reigns – ein Spiel, indem eine Karte nach der anderen eingeblendet wird, die dem Spieler eine Entscheidung abringt, wie das eigene Königreich regiert werden soll. Unglaublich, wie schnell man sich hier mitreißen lässt auch ohne üppige Grafik.

Das heißt natürlich nicht, dass es egal ist, wie Ihr Szenario aussieht. Es geht lediglich darum, dass Sie sich bei begrenztem Budget und enger Frist lieber auf die Geschichte als auf die Präsentation konzentrieren sollten.

2. Wenn die richtige Wahl zu offensichtlich ist, wird’s langweilig

Ein leider häufig gemachter Fehler beim Design von E-Learning-Szenarien ist, dass es viel zu offensichtlich ist, welche Entscheidung die beste/richtige ist. Manchmal ist sie deutlich länger als die anderen oder ungewohnt förmlich geschrieben. Oder die schlechten/falschen Entscheidungen sind so Banane, dass wirklich jeder erkennt, dass sie keine wirklichen Optionen sind. Und wenn die richtige Wahl immer sofort klar ist, wird es schnell langweilig.

Deutlich interessanter bleibt es, wenn die Teilnehmer mit kniffligen, realistische Entscheidungen konfrontiert werden. Mit Situationen, in denen sie scharf nachdenken müssen, um herauszufinden, was jetzt am besten zu tun oder zu sagen ist. Videospiele glänzen in diesem Aspekt seit vielen Jahren. Nehmen Sie zum Beispiel The Walking Dead von Telltale Games. Das düstere Setting ist eine Zombie-Apokalypse, und passend zum Thema werden die Spieler regelmäßig vor wirklich harte Entscheidungen gestellt, bei denen fast jede Option seine Vor- und Nachteile hat. Die Schwierigkeit verleiht den Entscheidungen Gewicht. Und das bedeutet, dass die Spieler mit jeder Entscheidung tiefer in die Geschichte hineingezogen werden und die Konsequenzen ihrer Entscheidungen unmittelbar erfahren. Zum Guten wie zum Bösen.

Mit diesem Ansatz können Sie eine Stärke des Szenarioformats voll ausschöpfen: und zwar die Teilnehmer dazu zu bringen, gründlich über die Situation und die möglichen Folgen ihrer Entscheidung zu reflektieren.

3. Nur wer genügend Informationen hat, kann vernünftige Entscheidungen treffen

Am anderen Ende der Skala stehen Szenarien, die so knifflig sind, dass Frust aufkommt. So wird in schlecht gemachten Szenarien von den Teilnehmern erwartet, dass sie Entscheidungen auf der Grundlage von Informationen treffen, die ihnen noch gar nicht gegeben wurden. Das läuft dann darauf hinaus, dass die Teilnehmer einfach wild raten, und das bringt niemandem etwas.

Auch Videospiele tappen bisweilen in diese Falle. Sind Sie als Videospielcharakter auch schon mal wahllos in einem Raum umhergestolpert, ohne auch nur zu wissen, mit welchen Elementen Sie interagieren können? Oder Sie steckten in einem Level dermaßen fest, dass Sie sich nicht anders zu helfen wussten, als online nach einer Komplettlösung zu suchen?

Der Grund für diese Patzer liegt oft in der Betriebsblindheit der E-Learning-Designer/Videospielautoren; denn was Ihnen als Urheber offensichtlich erscheint, ist noch lange nicht immer offensichtlich für den unvoreingenommenen Teilnehmer/Spieler. Deshalb sollten Sie bei der Planung eines Szenarios immer im Auge behalten, welche Informationen Sie (wann) den Teilnehmern geben. Was in diesem Zusammenhang immer hilft, ist, den Kurs von Menschen testen zu lassen, die nicht am Entwicklungsprozess beteiligt waren, denn sie werden viel eher über Stellen stolpern, die noch nicht ganz klar sind.

4. Feedback auf subtile Weise einflechten

Die meisten von uns kennen die althergebrachten Methoden von Videospielen, um Spielern mitzuteilen, wie gut (oder schlecht) sie in dem Spiel sind: Punkte und Leben. In simpler gestrickten Spielen sind diese Methoden auch nicht fehl am Platz, aber Spiele, deren Hauptaugenmerk auf Charakteren und der Handlung liegen, haben inzwischen viel subtilere und realistischere Möglichkeiten gefunden, den Spielern dieses Feedback zu geben. Überlegen Sie mal selbst: Was wirkt organischer und motivierender in einem E-Learning-Szenario: wenn Sie eine Meldung bekommen, dass Sie gerade 100 Punkte erhalten haben, oder wenn die Figur, mit der Sie gerade sprechen, sie anlächelt oder sich bedankt.

Ein Computergenre, in dem dieses dialogbasierte Feedback fantastisch eingesetzt wird, ist eines, an das man vielleicht zunächst gar nicht denkt: Dating-Simulationen. Da es in diesen Spielen um die Beziehungen zwischen Menschen geht, kann man sich dort jede Menge Tipps abgucken, wie man in seinem E-Learning-Szenario subtil und organisch Feedback geben kann. In der Dating-Sim-Parodie Hatoful Boyfriend z. B. lässt sich aus dem Tonfall und der Formulierung der Antworten viel herauslesen. Und in Scarlet Hollow, einer Mischung aus Horrorspiel und Dating-Simulation, signalisieren die Charaktere sehr oft durch Körpersprache, was Sie von den Dialogentscheidungen des Spielers halten. In diesem Spiel ändern sich auch die Dialogoptionen je nachdem, ob der Spieler seinem Gegenüber gefällt oder ihn/sie nervt.

Solche subtilere Formen der Rückmeldung fühlen sich echter an, wodurch die ganze Lernerfahrung viel besser in die Praxis übertragen werden kann.

5. Natürliche Dialoge schreiben

Dialoge aus ungeübter Feder entwickeln oft eine unfreiwillige Komik. Wenn die Personen im Szenario nicht so sprechen wie Menschen im echten Leben, wirkt das Ganze schnell lächerlich. Und wenn die Teilnehmer den E-Learning-Kurs nicht erst nehmen können, sinkt auch die Chance, dass vom vermittelten Stoff etwas hängen bleibt.

In der Welt der Videospiele gibt es auch für gestelzte und unrealistische Dialoge reichlich Beispiele. Viele ältere Spiele sind geradezu berühmt für ihre schlechten Dialoge, sei es wegen stümperhafter Übersetzung oder weil nicht genug Arbeit in die Dialoge investiert wurde. Mit den Jahren haben die Videospielentwickler aber dazugelernt und gezeigt, was für einen Unterschied es für das Spielerlebnis machen kann, wenn die Texte (und die Leistung der Sprecher) einfach gut sind. Im Giga-Artikel Ein Hoch auf Gute Dialoge wird dieses Phänomen eingehend beleuchtet.

Schön und gut, aber was können Sie jetzt tun, um zu verhindern, dass Ihre Szenarios klingen wie schlechte Computerspiele aus den 90ern? Lesen Sie sich Ihr Skript laut vor (oder noch besser: lassen Sie es sich von jemand anderem vorlesen). Wenn es sich seltsam anhört, ist das ein guter Hinweis darauf, dass Sie noch etwas mehr Arbeit reinstecken sollten.

6. Schlechte Entscheidungen sollten nicht mehr Spaß machen als gute

Sind Sie auch mit SimCity groß geworden? Wenn ja, ging es Ihnen dann auch so, dass Sie zwar wussten, dass es eigentlich darum geht, eine blühende Metropole zu schaffen, es aber viel mehr Spaß gemacht hat, die eigene Stadt mit Katastrophen heimzusuchen? Wenn einen das Spiel halt einen Monsterangriff auf die Stadt starten lässt, will man das ja nicht ungenutzt liegen lassen. Wahllose Zerstörung war zwar überhaupt nicht Ziel des Spiels, aber Mann, hat das Spaß gemacht! Manchmal sogar mehr als das eigentliche Spiel.

Diesen Effekt sollten Sie im Hinterkopf behalten, wenn Sie die verschiedenen Pfade Ihres Szenarios planen. Den weniger guten Dialogoptionen ein schräges oder übertriebenes Ende zu bescheren, mag beim Schreiben amüsant erscheinen. Vielleicht sind Sie versucht, in die schlechten Optionen schnippische Kommentare zu packen, die jeder Verkäufer schon mal einem unhöflichen Kunden um die Ohren hauen wollte. Oder sie haben Lust Easter Eggs zu verstecken, die humorvolle Endszenen freischalten. Solche Sachen sind nicht in jedem Fall zu verteufeln, aber wenn Sie es so weit übertreiben, dass es in Ihrem Szenario mehr Spaß macht, die falsche Wahl zu treffen als die richtige, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Ihre Kursteilnehmer Spaß dem eigentlichen Lernen vorziehen.

Spaß sollen E-Learning-Kurse natürlich machen, gerade wenn sie spielerische Elemente wie Szenarien enthalten. Das macht sie ja so wirksam. Sorgen Sie halt nur dafür, dass der Spaß das Lernziel unterstützt und nicht von ihm ablenkt.

Fazit

Wie Sie sehen, lässt sich aus Videospielen viel Inspiration für das Schreiben von E-Learning-Szenarien ziehen. Von der Gewichtung von Optik zu Inhalt über das Timing der Informationsvermittlung bis hin zum wohldosierten Einsatz von Spaß zur Unterstützung der Lernerfahrung.

Und Sie wissen auch, was das jetzt bedeutet, oder? Nämlich, dass Sie jetzt guten Gewissens Videospiele zocken können. Schließlich ist das Recherche für die Arbeit!

Für alle, die noch nicht genug haben, haben wir auf unserem Blog natürlich noch mehr Artikel zum Thema E-Learning-Szenarien:

 

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