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Funktionsgewähr: Ihre Bedeutung für die E-Learning-Entwicklung

Funktionsgewähr: Ihre Bedeutung für die E-Learning-Entwicklung

Schon mal von Funktionsgewähr gehört? Etwas sperriger Begriff vielleicht. Im Englischen heißt es etwas griffiger affordance. Immer noch nicht? Keine Sorge, Sie sind bei Weitem nicht allein – selbst unter E-Learning-Entwicklern. Der Begriff ist ein ganz zentraler im Software-Design und in der UX-Welt überhaupt. Aber was bedeutet er?

Eingeführt wurde der Begriff vom Psychologen James Gibson Ende der 70er Jahre im Kontext der kognitiven Psychologie. In dieser Disziplin bedeutet affordance die Gesamtheit aller möglichen Aktionen in einer bestimmten Situation, relativ zu einer Person und deren Fähigkeiten und Möglichkeiten.

1988 entlehnte Donald Norman den Begriff in den Bereich des Produktdesigns, und in seinem Sinne verwenden wir ihn noch heute. Er sprach im Kontext der Interaktion zwischen Mensch und Maschine (worunter ja auch E-Learning fällt) von empfundener Funktionsgewähr (perceived affordance). Laut Norman hängt die Funktionsgewähr nicht nur von den physischen Möglichkeiten der Person ab, sondern auch von ihrer Wahrnehmung, die wiederum von persönlichen Erfahrungen, Vorstellungen und Zielen beeinflusst wird.

Empfundene Funktionsgewähr bedeutet also, dass die Merkmale und das Design eines Dinges Hinweise darauf geben, was man mit ihm tun kann. Die Wahrnehmung dieser Hinweise ist dann von der Erfahrung der Person mit ähnlichen Dingen beeinflusst. Eine Schaltfläche z. B. „will“ geklickt oder angetippt werden, ein Drehregler gedreht werden.

Die Funktionsgewähr ist ein zentrales Konzept in der E-Learning-Entwicklung, denn sie wirkt sich direkt auf die Interaktion der Lernenden mit unseren Kursen aus. Wenn wir einen E-Learning-Kurs erstellen, fügen wir Elemente wie Schaltflächen, Hyperlinks, Eingabefelder usw. ein. Mit eindeutigen visuellen Kennzeichen können wir den Lernenden helfen, sich leichter in unseren Kursen zurechtzufinden. Woher soll jemand, der zum ersten Mal eine Schaltfläche sieht, wissen, was er damit tun kann? Die empfundene Funktionsgewähr ist es, die uns Hinweise darauf gibt, wozu ein Ding gut ist oder was sich damit anstellen lässt, selbst wenn man es gerade zum ersten Mal vor sich hat.

Die Funktionsgewähr tritt in verschiedenen Formen auf, aber die wichtigsten sind:

Negative Funktionsgewähr: Wenn eine Funktionsgewähr empfunden wird, aber nichts passiert. Wenn man z. B. auf eine Schaltfläche klickt, aber nicht passiert.

Versteckte Funktionsgewähr: Wenn ein Ding etwas kann, womit man nicht gerechnet hatte. Mit einem Feuerzeug lässt sich z. B. eine Bierflasche öffnen.

Irreführende Funktionsgewähr: Wenn man mit etwas rechnet, aber etwas anderes passiert. Wenn man z. B. an einem Türgriff zieht, dann aber feststellt, dass sich die Tür durch Drücken öffnet.

Explizite Funktionsgewähr: Durch Text oder durch die äußere Erscheinung eines Dinges gegebene Information. Diese Art ist für uns die wichtigste, denn mit expliziter Funktionsgewähr helfen wir den Lernenden, sich leichter in unseren Kursen zurechtzufinden.

Bei den folgenden 3 Schaltflächen wird deutlich, wie explizite Funktionsgewähr (die dreidimensionale Optik und der Text „֧Click Me“ lässt kaum Zweifel, was der Lernende hier tun kann) eine Schaltfläche eindeutiger macht als die anderen:

Noch ein Beispiel. Welches der folgenden Eingabefelder weist die klarste explizite Funktionsgewähr auf?

Dies sind nur ein paar Beispiele dafür, welchen Einfluss visuell eindeutige Funktionsgewähr darauf haben kann, wie sich ein Lernender im Kurs zurechtfindet. Hier wird klar, wie explizite Funktionsgewähr E-Learning-Inhalte intuitiver und besser verständlich machen kann. Wenn die Lernenden damit beschäftigt sind, herauszufinden, wo sie klicken sollen oder was sie auf einer bestimmten Folie tun sollen, können sie sich nicht auf das Wesentliche konzentrieren: den Inhalt.

Wie können wir Funktionsgewähr eindeutig machen?

Jetzt da wir wissen, was mit Funktionsgewähr gemeint ist, fragen Sie sich sicher, was Sie als E-Learning-Entwickler jetzt tun sollten. Ein paar zentrale Gedanken helfen Ihnen dabei, visuell eindeutige explizite Funktionsgewähr in Ihre Kurse einzubauen.

  • Halten Sie sich an Design-Konventionen: Verwenden Sie für Schaltflächen z. B. Schlagschatten und abgeschrägte Kantenoptik, um klarzumachen, dass man darauf klicken kann (mehr zum Thema unter: Let’s talk about Buttons), oder verwenden Sie für Hyperlinks eine andere Textfarbe und Unterstreichung. Diese Konventionen sind nicht in Stein gemeißelt, aber das Design im E-Learning-Bereich richtet sich stark nach Gepflogenheiten im Web- und Grafikdesign. Sie sollten also die Entwicklung in diesen Bereichen im Auge behalten, um sicherzugehen, dass Ihre Kurse stets frisch und modern wirken. Weiterführende Lektüre: Web Design & E-Learning: Long Lost Siblings? (auf Englisch) & User-Interface-Design: 3 Dinge, die E-Learning-Designer wissen müssen.
  • Führen Sie sorgfältige Praxistests durch: Ob Ihre Lernenden die Elemente der expliziten Funktionsgewähr, die Sie eingebaut haben, auch wahrnehmen und nutzen, erfahren Sie letztlich nur durch Praxistests. Dieser Schritt ist enorm wichtig und sollte auf keinen Fall ausgelassen werden. Mehr hilfreiche Tipps zur Durchführung von Tests finden Sie hier: 4 wichtige Gründe für das Testen von E-Learning-Kursen.

Denken Sie bei Ihrem nächsten Kurs an die Konzepte der empfundenen und der expliziten Funktionsgewähr und daran, welchen Einfluss sie auf Ihre Kursentwicklung haben. Wenn Sie die 3 Tipps oben beherzigen, werden Ihre Lernenden immer wissen, was sie tun müssen und wie sie es tun können.

Haben Sie selbst Tipps, mit denen sich dafür sorgen lässt, dass sich Lernende im Kurs gut zurecht finden? Schreiben Sie sie gerne in die Kommentare unten.

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