Stellen Sie sich vor, Sie sind gerade mit Ihrer Bedarfsanalyse fertig, und sie hat ergeben, dass es ein konkretes Problem gibt, für das ein E-Learning-Kurs die richtige Lösung ist. Fantastisch! Dann können Sie ja anfangen, den Kurs zu entwerfen, oder? Nicht ganz … es fehlt noch die Zielgruppenanalyse. Denn Sie wollen ja wissen, wer demnächst an Ihrem schönen E-Learning-Kurs teilnehmen wird, welches Vorwissen schon da ist und wie Sie die Inhalte am besten kommunizieren.
Eine Zielgruppenanalyse im E-Learning ist genau das, wonach es klingt: eine Untersuchung der Zielgruppe des Kurses. Die Auseinandersetzung mit dem fachlichen Hintergrund und beruflichen Kontext der Lernenden gibt Ihnen Aufschluss darüber, wie Sie den Stoff am effektivsten vermitteln können.
In diesem Artikel möchten wir beleuchten, warum eine solche Analyse wichtig ist und wie man sie am sinnvollsten durchführt. Also los.
Warum es so wichtig ist, die Zielgruppe zu kennen
Für einige mag es selbstverständlich sein, sich Zeit zu nehmen, um mehr über die Lernenden zu erfahren. Für andere ist es aber kaum mehr als ein lästiger Schritt, der vor der „eigentlichen“ Arbeit abgehakt werden muss. Wenn Sie zur letzteren Gruppe gehören, dann lassen Sie uns die Situation mal in der Praxis betrachten.
Sagen wir, Sie möchten einen Kurs erstellen, mit dem Ihre Mitarbeiter den Umgang mit der Software erlernen, die in Ihrem Unternehmen zur Entwicklung und Fertigung der Produkte eingesetzt wird. Viele Ihrer Mitarbeiter sind geübt im Umgang mit Computern, weil sie täglich am Computer arbeiten. In etwa genauso viele arbeiten aber in der Fertigung, und wie viel sie in ihrer Freizeit am Computer verbringen ist unklar.
Beide Gruppen sollen den Umgang mit der Software lernen, haben aber nicht dieselben Voraussetzungen. An der folgenden Tabelle werden die Unterschiede zwischen den Gruppen deutlich:
Computerkompetenz | Einsatz der Software | |
Mitarbeiter im Büro | hoch | Produkte entwerfen |
Mitarbeiter in der Fertigung | unbekannt, aber deutlich geringer | Produkte herstellen |
Wenn man sich das ansieht, scheint es fast, als müssten Sie zwei Kurse erstellen:
- einen Kurs für Büroangestellte zum Einsatz der Software für das Entwerfen der Produkte
- und einen Kurs für die Mitarbeiter in der Fertigung zum Einsatz der Software für die Herstellung der Produkte
Hier wird klar, wie wichtig eine Zielgruppenanalyse im E-Learning ist. Wenn Sie sich nicht die Zeit genommen hätten, die Zielgruppe kennen zu lernen, hätten Sie womöglich einen Kurs entworfen, der nur für eine Hälfte sinnvoll gewesen wäre. Das wäre eine ziemliche Zeitverschwendung gewesen.
Schritt 1: Fragen stellen
Ok, wir wissen also, warum eine Zielgruppenanalyse wichtig ist, aber wie gehen wir jetzt konkret vor? Als erstes sollten Sie sich mit Ihrem Team zusammensetzen und mehr über die zukünftigen Teilnehmer des Kurses in Erfahrung bringen. Hierbei können Sie sich von den folgenden Fragen leiten lassen.
Allgemeine Fragen
Manch ein Kurs wird zwar vorrangig für eine bestimmte Zielgruppe erstellt, soll aber später noch für eine andere verwendet werden. Wenn das bei Ihrem Kurs so ist, sollten Sie das direkt beim Projektstart in Erfahrung bringen, damit Sie den Kurs entsprechend gestalten können. Stellen Sie Ihren Auftraggebern z. B. diese Fragen:
- Wer ist die Hauptzielgruppe?
- Gibt es noch weitere untergeordnete Zielgruppen?
Barrierefreiheit
Je nach Ihrem Auftrag- bzw. Arbeitgeber gelten für Ihren Kurs ggf. gesetzliche Vorschriften zur Barrierefreiheit (mehr zum Thema finden Sie in diesem Blogartikel). Ist das bei Ihnen nicht der Fall, sollten Sie sich dennoch Gedanken über Teilnehmer mit körperlichen Einschränkungen machen. Hier können folgende Fragen weiterhelfen:
- Gibt es unter den Teilnehmern Menschen mit körperlichen Einschränkungen? Wenn ja, um welche Art der Einschränkung handelt es sich?
Demographische Aspekte
Auch in der Bildsprache lohnt es sich, auf die Vorlieben der Zielgruppe Rücksicht zu nehmen, damit sich die Teilnehmer angesprochen fühlen. Wenn Sie Figuren oder Fotos mit Menschen in Ihren Kurs einbauen, helfen die folgenden Fragen weiter:
- Wie alt sind die Teilnehmer im Durchschnitt?
- Wie sieht es mit der Geschlechterverteilung aus?
- Welchen kulturellen oder ethnischen Hintergrund haben die Teilenehmer?
- Gibt es eine Kleiderordnung am Arbeitsplatz der Teilnehmer (Uniform, Schutzkleidung …)?
Vorwissen & Erfahrung
Besonders wichtig ist es, den Kurs darauf abzustimmen, wie vertraut die Teilnehmer mit der Materie sind und wie es um ihr Sprach- und Leseverständnis steht. Stellen Sie hier Fragen wie:
- Wie viel Arbeitserfahrung haben die Teilnehmer?
- Wie viel wissen sie schon über das Kursthema?
- Welche Sprache(n) sprechen sie?
- Ist die Sprache des Kurses für alle Teilnehmer die Muttersprache?
- Wie steht es um die Lesekompetenz?
Fachjargon & Stil
Wie Sie Ihre Texte formulieren, hat eine starke Auswirkung darauf, wie gut sie verstanden werden. Hier ein paar Fragen zur Orientierung:
- Wie vertraut sind die Teilnehmer mit Begriffen und Formulierungen aus der Fachsprache?
- Sollte der Schreibstil eher förmlich oder leger gehalten sein?
Technische Umgebung
Je mehr Sie über die technische Ausstattung der Zielgruppe wissen, desto besser. Denn dann können Sie Ihren Kurs unter technischen Gesichtspunkten gezielter testen. Um mehr hierüber herauszufinden, könnten Sie z. B. diese Fragen stellen:
- An welchen Geräten werden die Teilnehmer den Kurs absolvieren (PC, Tablet, Smartphone)?
- Wie technikaffin sind die Teilnehmer?
- Können sich die Teilnehmer bei technischen Problemen Hilfe holen? Wenn ja, aus Dokumenten oder von anderen Menschen?
Beweggründe und Ziele
Nicht zuletzt ist es immer gut zu wissen, warum die Teilnehmer Ihren Kurs absolvieren. Wenn Sie z. B. einen gesetzlich vorgeschriebenen Compliance-Kurs entwickeln, können Sie davon ausgehen, dass die Teilnehmer vielleicht ein bisschen mehr Motivation brauchen, um nicht auf Durchzug zu schalten, und Sie deshalb ein bisschen mehr auf Gamification setzen. Wenn die Teilnehmer aber selbst den Kurs eingefordert haben, wird ein schlichterer Ansatz reichen. Stellen Sie hier Fragen wie:
- Warum nehmen die Teilnehmer am Kurs teil?
- Was erhoffen sich die Teilnehmer von dem Kurs?
- Wie viel Zeit können die Teilnehmer für den Kurs aufbringen?
- Wie motiviert sind die Teilnehmer im Durchschnitt?
- Welcher Prozentsatz der Zielgruppe wird tatsächlich teilnehmen?
Das alles sind natürlich nur Beispielfragen. Je nach Ihrem Projekt müssen Sie vielleicht nur einige davon stellen. Oder Sie müssen noch andere stellen, die wir hier nicht aufgeführt haben.
Schritt 2: Beobachten & Recherchieren
Bleiben Sie im Gespräch mit Auftraggebern, Fachleuten und anderen am Projekt beteiligten Personen. Das wird Ihnen schon eine Menge Aufschluss über die Zusammensetzung der Zielgruppe geben. Sie bekommen ein Gefühl für die Arbeitsabläufe, für die Verteilung von Verantwortlichkeiten, den Umgangston und andere Aspekte der Arbeitswelt Ihrer Zielgruppe. Wenn möglich, beobachten Sie Ihre zukünftigen Kursteilnehmer bei der Arbeit und sprechen Sie mit den Vorgesetzten.
Durchforsten Sie die Regularien des Unternehmens nach standardisierten Verfahren (SOP). Von der Personalabteilung können Sie sich Informationen über bisherige Schulungen holen, und die IT kann Ihnen bei technischen Fragen helfen.
Wenn Sie keine Möglichkeiten haben zukünftige Teilnehmer persönlich zu treffen, könnten Sie ihnen einen Fragebogen mit gezielten Fragen zum Arbeitsalltag schicken. Das ist zwar indirekter und nicht ganz so effektiv, kann aber dennoch wichtige Erkenntnisse liefern.
Schritt 3: Analysieren & Teilnehmerprofile definieren
Wenn Sie dann all diese Informationen zusammengetragen haben, nehmen Sie sich Zeit, sie zu analysieren. Oft werden Sie dabei feststellen, dass es innerhalb der Zielgruppe unterschiedliche Wissensstände, Hintergründe, Bedürfnisse, Erwartungen und Ziele gibt.
Wenn das in Ihrem Fall so ist, nehmen Sie sich Zeit, verschiedene Teilnehmerprofile zu erstellen. Auf der Grundlage dieser Profile werden Sie dann besser entscheiden können, wie Sie den Kurs (oder die Kurse) gestalten. Mehr Details zur Entwicklung von Kursen für mehrere Teilnehmerprofile erfahren Sie in diesem Artikel: Wie Sie eine bessere Lernerfahrung gestalten.
Sollte Ihre Zielgruppe sehr einheitliche Voraussetzungen und Wünsche haben, umso besser. Notieren Sie sich die Merkmale der Zielgruppe für später. Das wird Ihnen die Kursentwicklung deutlich leichter machen.
Fazit
Wenn Sie sich die Zeit nehmen, die Lernenden näher kennen zu lernen, erfahren Sie jede Menge wertvoller Dinge, aufgrund derer Sie effektivere E-Learning-Kurse erstellen können. Denn was nützt der schönste Kurs, wenn er am Ziel vorbeischießt?
Mehr Tipps zur Planung und Vorbereitung von E-Learning-Projekten finden Sie in diesen Artikeln:
- Wie man E-Learning-Kurse professionell plant
- Lernziele im E-Learning – ohne sie geht es nicht
- Wie Sie eine Aufgabenanalyse für Ihr E-Learning-Projektmanagement durchführen
- 5 Schritte, um die Inhalte für Ihr E-Learning-Projekt zu identifizieren
- E-Learning-Kurse auf Zielgruppen zuschneiden – warum und wie?
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